Die gemeinnützige BAT-Stiftung für Zukunftsfragen befragt regelmäßig über 2.000 Bundesbürger/innen ab 14 Jahren in persönlichen Interviews. Im Dezember 2018 wollte die Stiftung für Zukunftsfragen wissen, welche Fragen die Bundesbürger/innen an das Leben haben. 57 Prozent der Befragten stellen sich die Frage: „Werde ich im Alter gut versorgt und betreut sein?“.  56 Prozent wollen wissen, ob sie „immer in Frieden leben“ werden und 51 Prozent treibt die Frage um, ob die Umwelt so zerstört wird, „dass es irgendwann keine Menschen mehr gibt“?

Die Frage des Alterns sowie des Alt-Seins sind immer Fragen gewesen, die für die Menschen eine Bedeutung haben. Doch auf dem Hintergrund, dass es noch nie in der Geschichte der Menschheit eine Zeit in Deutschland gab, in der die Menschen über 65 Jahre mehr waren als die Menschen unter 20 Jahren und dass diese beiden Altersgruppen immer weiter auseinander driften, werden neue Antworten verlangt.

„Es gibt kein Rezept, aber wir alle könnten dafür Konzepte entwickeln“, zeigt sich Dr. Sabine Voermans, Vorstandsmitglied des Vereins „Demografie Exzellenz e. V.“ und Leiterin des Gesundheitsmanagements der Techniker Krankenkasse, überzeugt. Denn die Menschen, die morgen alt und pflegebedürftig sein werden, seien alle schon geboren.  „Wir wissen, was auf uns zukommt, wenn die Menschen immer älter, die Älteren immer mehr werden und schon 2017 bereits 71 Prozent der über 90-Jährigen pflegebedürftig waren.“

Der Unternehmensberater Claus Kruse, ebenfalls Vorstandsmitglied des Vereins, weist darauf hin, dass diese Konzeptideen seit zehn Jahren regelmäßig vorgestellt werden, wenn es um die Verleihung des „Demografie-Exzellenz-Award“ geht, eines Preises, der alljährlich die besten Lösungsideen für demografisch bedingte Herausforderungen prämiert. „Pflegethemen“, so Kruse, „gehören immer dazu.“ Damit wird auch jedes Jahr ein gesellschaftlicher Seismograph für die anstehenden Herausforderungen spürbar.

Wenn Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nun öffentlich 13.000 zusätzliche Stellen in der Pflege verspricht, so sind weder die formale haushaltsrechtliche Bereitstellung der Stellen noch deren Finanzierung das Problem, sondern die Besetzung mit qualifizierten Menschen. Gerhard Wiesler, ebenfalls Vorstandsmitglied des Vereins und Partner bei Kienbaum Consultants International GmbH, erläutert, dass Deutschland noch nie so viele Erwerbstätige zählen durfte wie zurzeit (rund 45 Millionen Menschen), dass noch nie seit 1990 so wenig arbeitslose Menschen registriert waren und dass die Zahl der gemeldeten offenen Stellen noch nie so hoch war. „Die Fachkräfteengpassanalyse der Bundesagentur für Arbeit meldete im Juni 2018, dass es im Durchschnitt 175 Tage brauchte, bis eine freie Stelle in der Altenpflege wiederbesetzt werden konnte“, weiß Wiesler. Über alle Berufe hinweg seien es 107 Tage gewesen – auch noch nie so lange!

Manche Pflegeheimbetreiber verweisen darauf, dass sie die Menschen, die sie brauchen, erst einmal ausbilden müssten, doch auch die Zahl der möglichen Auszubildenden in der Pflege geht zurück. Denn wenn zum Beispiel die 1.357.304 im Jahre 1964 geborenen Menschen (stärkstes Geburtsjahr in Deutschland seit 1949) 2031 ihren gesetzlich geregelten Ruhestand erreichen, strömen die 2013 Geborenen (das waren 682.069 Menschen) in den Arbeitsmarkt. Mit anderen Worten: die Hälfte der freiwerdenden Arbeitsplätze kann nicht wiederbesetzt werden. Sie ist nicht mehr da, weil nicht mehr geboren. Und alle Branchen brauchen Nachwuchs. Wie attraktiv stellt sich hier die Pflege auf?

Der Ruf nach „mehr Stellen und mehr Personal“ wird also nicht das Heilmittel der Zukunft sein. Es braucht daher andere Wege und Lösungen, um die Herausforderungen der Pflege in Deutschland zu lösen. Die Institutionen, die sich für den Demografie-Exzellenz-Award 2018 bewarben, und natürlich der Preisträger selbst, belegen, dass man längst weiter ist, als Politik und öffentliche Diskussionen.

So stellte zum Beispiel das Caritas-Altenzentrum St. Hedwig aus Speyer, eine „personenzentrierte, ressourcenorientierte Neuausrichtung der Pflege und Begleitung an Demenz erkrankter Bewohner/innen“ vor. Damit soll zum einen eine Steigerung von Wohlbefinden, Lebensqualität, Mobilität und Kommunikationsfähigkeit der Bewohner/innen erreicht werden, zum anderen aber auch eine höhere Arbeitszufriedenheit der in der Pflege und Betreuung involvierter Mitarbeiter/innen. Schließlich seien als Mehrwert auch die Stärkung des Selbstbildes des Berufstandes, eine höhere Mitarbeiterzufriedenheit und eine positive Teamentwicklung erreicht worden. Die Jury fand das Konzept sehr überzeugend.

Viel Personalkapazität – das belegen Erzählungen aus dem Pflegealltag – wird aber auch gebraucht, um kommunikative Prozesse zu gestalten. So wollen die Angehörigen am Leben ihrer zu Pflegenden teilhaben, wollen die Pflegenden wissen, was passiert und bei Schichtwechseln zu berücksichtigen ist, sollen Missverständnissen und Unwissenheit begegnet werden, sollen Dokumentationspflichten umgesetzt werden. Ein Berliner Start-Up hat hierzu eine App („myo App“) entwickelt, die die Bewohner, deren Angehörige und die Pflegenden vernetzt und jederzeit vielfältige Kommunikation erlaubt, die am Leben teilhat, Informationen vermittelt und dokumentiert, aber auch Ängsten und Unwissenheit vorbeugt. Ob Videos, Sprach- oder Textnachrichten, alle können dabei sein. Es braucht nicht mehr nachgefragt zu werden und Erinnerungslücken führen nicht mehr zu Missverständnissen, die kommunikativ Zeit benötigen, wieder aus dem Weg geräumt zu werden. Damit spart die myo-App Zeit, die die Pflegenden den Bewohnern/innen zur Verfügung stellen können. Für diese innovative Idee erhielt dieses Unternehmen auch den Demografie-Exzellenz-Award 2018.

Prof. Dr. Uwe Schirmer, Vorstandsmitglied und Professor an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Lörrach, lobt diese und weitere konkrete Vorschläge: „Die hohe Qualität und der Leuchtturmcharakter dieser Lösungsideen verdienen eine weite Verbreitung und Nutzung.“ Seit zehn Jahren trägt der Verein nun diese pragmatischen Lösungsideen zusammen, wohl wissend, dass es noch viel mehr gibt. Aber noch immer ignorierten viele Menschen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft die Wirkungen des demografischen Wandels. Der Verein möchte daher Mut machen, diese Herausforderung anzugehen, denn die neue soziale Realität lässt sich meistern. Das belegen die Kandidaten und die Preisträger. Und das wird auch 2019 wieder so sein!

Verantwortlich: Dr. Winfried Kösters, Tel.: 0049227192858