Auf dem Bundesparteitag der CDU in Leipzig Ende November 2019 verkündete deren Vorsitzende, Annegret Kramp-Karrenbauer, dass sie ihre Partei nicht als „Reparaturbetrieb“ unterhalten, sondern sie zu einer „Zukunftswerkstatt“ machen wolle. Die Herausforderungen des demografischen Wandels kamen, so die Presseberichte, als Themen in dieser Zukunft jedoch nicht vor. Auch die Kanzlerin selbst nannte in ihrem Grußwort, so die FAZ vom 23. November 2019, als Herausforderungen „den Klimawandel und die Digitalisierung“. Fällt der demografische Wandel aus? Fake News?

Dabei sind sich alle Experten einig: die großen demografisch bedingten Herausforderungen kommen erst noch, sie liegen also in der Zukunft, nämlich dann, wenn die Babyboomer-Generation in den Ruhestand eintritt. 2031 geht der stärkste Geburtenjahrgang (1964) in Rente. Das waren 1.357.304 Menschen. Im gleichen Jahr werden die 2013 Geborenen 18 Jahre alt und stehen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Das sind 682.069 Menschen. Fazit: Die Hälfte der 2031 frei werdenden Arbeitsplätze kann nicht wieder besetzt werden. Wie lauten die Antworten auf die Fachkräftenachfrage der Zukunft? Das hat ganz konkrete Auswirkungen. So belegte eine Studie der Bertelsmann Stiftung („Das berechenbare Problem? Die Altersstruktur der Kommunalverwaltungen“) bereits 2016, dass 26,5 Prozent der in den kommunalen Verwaltungen Beschäftigten 2014 älter als 55 Jahre alt waren. Nur 12,8 Prozent waren jünger als 30 Jahre. Wie organisieren wir Deutschland? Wie statten wir die Verwaltungen so aus, dass die 16 Bundesländer, 294 Landkreise und rund 11.000 Kommunen funktionieren? Und weiter gedacht: Wenn die Babyboomer in die Pflege kommen: Wer pflegt wie? Diese Zukunft verlangt Antworten.

Eine wirkliche Zukunftswerkstatt bot die Fachkonferenz „Demografie Exzellenz 2019“ am 2. Oktober 2019 in Stuttgart. Denn dort zeigte Demografie-Experte Dr. Winfried Kösters nicht nur auf, wie der demografische Wandel wirkt, sondern dass er nicht ohne die Digitalisierung, den Klimawandel, die Migration oder den Wertewandel gedacht werden kann. Noch nie sei die erwerbstätige Gesellschaft im Schnitt so alt gewesen wie 2018, nämlich 45 Jahre alt. Und wenn die älter werdenden Belegschaften sich in den Betrieben mit der Digitalisierung nicht beschäftigen wollten, dann findet sie zwar statt, aber nicht in den Betrieben. Auch die Wirkungen des Klimawandels, zum Beispiel Starkregen, müssen auf dem Hintergrund der Demografie betrachtet werden. Denn wer engagiert sich künftig bei dem Deutschen Roten Kreuz, bei der Feuerwehr oder beim Technischen Hilfswerk, wer rettet die älteren Menschen und wer versorgt die Menschen, wenn sie in die Krankenhäuser kommen? Der Referent verdeutlichte, dass diese Megatrends nicht losgelöst betrachtet, sondern miteinander verknüpft gesehen werden müssten. Sie stellten auch Lösungsoptionen füreinander dar. Zukunft, so seine Botschaft, sei nicht mehr länger die bloße Verlängerung der Vergangenheit.

Dass dabei der älter werdende Mensch mit 63 Jahren nicht aus dem Berufsleben auszusortieren ist, sondern im Wertschöpfungskreislauf gehalten werden sollte, belegten die Ausführungen von Prof. Dr. Andreas Kruse, Leiter des Instituts für Gerontologie der Universität Heidelberg. Kruse, der im Auftrag der Bundesregierung die bisherigen Altenberichte verantwortete, bilanziert seine wissenschaftlich erforschten Kenntnisse. Danach brauchen ältere Menschen eine Aufgabe, wollen sie sich für etwas sorgen, befinden sie sich auf der Sinnsuche, möchten intergenerationell arbeiten, sind kreativ lösungsfähig und zeigen sich weiterhin bildungshungrig. Diese Erkenntnisse gelte es in der Praxis zu nutzen. Denn demografisch bedingt leben seit 2009 mehr ältere Menschen über 65 Jahre in Deutschland als Menschen unter 18 Jahre. Ohne sie wird keine Zukunft zu gestalten sein. Aber das erfordert, sich nicht nur mit Renten- und Pflegethemen auseinanderzusetzen.

Die Ressource, die dabei am meisten gebracht werde, ist die Gesundheit. Sie gilt es nicht nur zu erhalten, sondern ebenso nachhaltig zu fördern. Doch auch hier wirkt der demografische Wandel, denn 2018, so die Bundesärztekammer, lag das Medianalter der 392.402 in Deutschland niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte bei 54,2 Jahre. Viele Praxen werden daher in wenigen Jahren ohne Nachfolgende geschlossen werden. Die Digitalisierung im Gesundheitswesen könnte eine Lösungsoption sein. Dr. Tobias Gantner, gelernter Arzt und Geschäftsführer des Kölner Unternehmens Healthcarefuturists, schöpfte aus dem Vollen, als er Produkte, Apps und telemedizinische Möglichkeiten vorstellte. Seine Botschaft: Nur weil wir uns etwas heute nicht vorstellen können, heißt es nicht, dass es morgen nicht Realität sein kann. Die Gesundheitsversorgung werde sich radikal verändern. Doch wie reagieren die älteren Menschen, wenn der Facharzt digital zugeschaltet wird? Gantner weiß um die Wirkung des Dreiklangs Chance, Nutzen, Spaß, den es in die Kommunikation stärker einzubinden gilt. Sein Vortrag weckte Lust auf Zukunft.

„Diese Fachkonferenz machte klar, dass die demografischen Herausforderungen ohne die Chancen der Digitalisierung nicht gestaltet, die Digitalisierung der Gesellschaft ohne die demografischen Veränderungen nicht gelingen kann“, so Dr. Sabine Voermans, Vorstandsmitglied von Demografie Exzellenz e. V. und Leiterin des Gesundheitsmanagements der Techniker Krankenkasse. Die Auswirkungen auf den Gesundheitsbereich seien dabei nur eine Facette, wenn auch eine wichtige. „Die älter werdenden Menschen sind in dem Zusammenhang keine Ressource, die es als Objekt der Pflege und Betreuung zu betrachten gilt, sondern die deutlich länger als gesellschaftlich Agierende einzuplanen sein werden“, ergänzt Prof. Dr. Uwe Schirmer, ebenfalls Vorstandsmitglied und Professor an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Lörrach. Auf die Weiterbildung bis ins hohe Alter komme es an und darauf, die didaktischen Instrumente für die unterschiedlichen Generationen zur Verfügung zu stellen, damit die anstehenden gesellschaftlichen Veränderungen angenommen und gestaltet werden.

Insofern war diese Fachkonferenz bereits eine Zukunftswerkstatt, die mehr als nur einen Hauch von Lösung  der anstehenden gesellschaftlichen Herausforderungen vermittelte.

Verantwortlich: Dr. Winfried Kösters, Tel.: 0049 2271 92858