Bis zum 3. Mai 2020 sind die Kontaktbeschränkungen in Deutschland verlängert worden, um die Ausbreitung des Corona-Virus Covid 19 nachhaltig einzudämmen. In den letzten sechs Wochen haben wir im Eiltempo viel Neues zum ersten Mal alle gleichzeitig gelernt: Das Tempo, in dem Dinge und Verhaltensweisen, die gestern noch undenkbar schienen, heute vorstellbar werden, morgen Realität sind, ist enorm.

So sind zum Beispiel Arbeitnehmende nicht mehr verpflichtet, eine Arztpraxis aufzusuchen, um sich krankschreiben zu lassen. Das geht plötzlich auch telefonisch. Die Zeitnot und vor allem der Schutz der Ärzteschaft lässt das Vertrauen wachsen. Das Misstrauen, der Arbeitnehmende würde nur simulieren, um „blau zu machen“, schwindet. Wie stark die Veränderungen sind, macht sich auch bei den wirtschaftlichen Corona-Hilfen bemerkbar. Betriebe, die coronabedingt Umsatzeinbußen verzeichnen, können einen nicht rückzahlungspflichtigen Einmalzuschuss beantragen. So wurde zum Beispiel ein Antrag im Rahmen des Bundesprogramms „Soforthilfe für Kleinstunternehmen und Soloselbständige“ am 30. März 2020 online gestellt. Wenige Sekunden später war die Eingangsbestätigung unter der Registrierungs-Nummer 294.234 im Email-Postfach. Am 2. April 2020 kam der Bewilligungsbescheid an, am 3. April 2020 war das Geld auf dem Bankkonto. Was bisher Wochen, wenn nicht sogar Monate dauerte, ging nun innerhalb weniger Tage. Der Staat vertraut seinen Bürgern. Die sonst übliche Kontrolle und damit das behördenimmanente Misstrauen wurden auf ein Minimum beschränkt. Beeindruckend.

„Hätte jemand Anfang des Jahres 2020 gesagt, dass die Behörden in Deutschland dazu in der Lage sein werden, es hätte wohl kaum jemand für möglich gehalten. Doch diese Erfahrung ist eine wichtige für die Zukunft Deutschlands. Insofern wirkt der Corona-Virus wie ein demografisches Lernlabor“, sagt Unternehmensberater Claus Kruse, Vorstandsmitglied von Demografie Exzellenz e. V.

Denn der demografische Wandel bewirkt einen nachhaltigen Bürokratie- und damit Verwaltungsabbau, der in den Köpfen der meisten Menschen noch gar nicht bewusst angekommen ist. Simple statistische Daten, die die Bertelsmann Stiftung 2016 in einer Studie („Das berechenbare Problem? Die Altersstruktur der Kommunalverwaltungen.“) aufbereitet hat, belegen dies: Danach waren 2014 26,5 Prozent aller in den kommunalen Behörden Deutschlands Tätigen älter als 55 Jahre. Diese Menschen scheiden nach geltendem Renten- bzw. Pensionsrecht bis spätestens 2026 aus dem Berufsleben. Doch wer rückt nach? Denn nur 12,8 Prozent der in den Kommunalverwaltungen Beschäftigten waren 2014 unter 30 Jahre. Der Ruf nach mehr Personal allein greift nicht mehr. Doch sind Lösungen vorausgedacht worden? Oder werden Lösungsideen gar verknüpft mit anderen Entwicklungen, zum Beispiel der Digitalisierung? Damit sind wir beim demografischen Wandel, den Politik, Verwaltungen, aber auch Wirtschaft und Bevölkerung bis heute eher ignorieren. Doch der Corona-Virus zeigt uns, was es bedeutet, wenn wir den Bürgerinnen und Bürgern mehr vertrauen als misstrauen.

„Denn wir werden in den Behörden die Menschen nicht mehr haben, die kontrollieren“, zeigt sich Dr. Uwe Schirmer, Vorstandsmitglied und Professor an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Lörrach, überzeugt. Ob das beim Finanzamt oder bei der Polizei, beim Ordnungsamt oder beim Umweltamt sein wird, wer ersetzt die Menschen, die altersbedingt ausscheiden werden? Schließlich sind 2013 nur noch 682.069 Kinder geboren worden, die 2031 für den Arbeitsmarkt bereit stehen, wenn der geburtenstärkste Jahrgang in Deutschland (1964) in den Ruhestand nach geltendem Rentenrecht eintritt. Das waren noch 1.357.304 Kinder.

„Diese Herausforderung werden wir dann meistern, wenn wir den Bürgerinnen und Bürgern grundsätzlich mehr vertrauen, als misstrauen, wenn die Anreize dafür entsprechend gesetzt werden“, beschreibt Vorstandsmitglied Dr. Sabine Voermans die Situation.   

Ob wir auf diesem Hintergrund noch 16 Bundesländer unterhalten können? Verwaltungsmäßig sind diese 16 Bundesländer strukturiert in 297 Landkreise und 107 kreisfreie Städte (darunter auch die drei Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg). Diese Landkreise und kreisfreien Städte verfügen auch alle über ein Gesundheitsamt. Überall sollen nun „erhebliche zusätzliche Personalkapazitäten geschaffen werden, mindestens ein Team von fünf Personen pro 20.000 Einwohnern“, teilen Bundeskanzlerin und Ministerpräsidenten am 15. April 2020 mit.

„Doch woher sollen diese Menschen – möglichst qualifiziert – kommen? Der medizinische Fachmarkt ist leergefegt“, berichtet Vorstandsmitglied Gerhard Wiesler. Schließlich werden auch die derzeitigen Mitarbeitenden älter, gehen in den Ruhestand und wollen ersetzt werden. Die demografische Währung der Zukunft laute nicht mehr Arbeitsplatz, sondern Fachkraft. Politik und Verwaltung denken aber noch immer in „Stellen“.

Die Gestaltung der Corona-Pandemie, das belegen diese Ausführungen, ist nicht ohne Berücksichtigung der demografischen Rahmenbedingungen denk- und lösbar. Doch genau das geschieht nicht. Der Verein „Demografie Exzellenz e. V.“ sammelt seit über zehn Jahren Beispiele für eine zukunftsorientierte, demografiegerechte Gestaltung der Gesellschaft. Das Corona-Lernlabor belegt, dass wir den Menschen stärker vertrauen sollten, ihnen etwas zutrauen dürfen, an ihre Eigenverantwortung appellieren können. Genau das verlangt auch die Gestaltung des demografischen Wandels.

Verantwortlich: Dr. Winfried Kösters, Tel.: 0049 2271 92858